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Agilität in Unternehmen: Experten-Interview

Christian Heiming ist vor fast acht Jahren als Entwickler bei der lise eingestiegen und hat bei uns die agile Arbeitsweise mit vorangetrieben. Als Product Owner hat er selbst in agilen Teams gearbeitet und in der lise academy andere Unternehmen in Agilität, vor allem zu Scrum, geschult.

Mittlerweile ist er Unit Head und führt sein eigenes Team. Sein Ansatz dabei ist die menschenzentrierte Führung.

 

Warum ist Agilität in Unternehmen wichtig?

Agilität bietet viele Chancen. Potenziale zu entdecken, flexibel auf Veränderungen zu reagieren und Hürden einfacher zu überwinden.

Modelle wie VUCA zeigen, dass die Welt immer komplexer wird und damit auch die Herausforderungen für Organisationen. (VUCA steht für Volatilität, Unsicherheit, Komplexität und Ambiguität, welche die veränderten Rahmenbedingungen des digitalen Zeitalters beschreiben).

Denn immer mehr Menschen sind involviert, Prozesse sind über Jahre hinweg gewachsen, viele Faktoren sind einfach nicht mehr vorhersehbar. Die Lösung für ein Problem liegt selten auf der Hand, sondern bedarf eines schrittweisen Vorgehens. Mit Agilität kann ein Unternehmen sich Lösungen annähern und damit Unsicherheiten reduzieren.

 

 

Was bedeutet Agilität für dich?

Es gibt einen Unterschied zwischen „Being Agile“ und „Doing Agile“. Ein Unternehmen, das agile Methoden wie Scrum nutzt, ist nicht zwangsläufig auch agil. Denn Agilität setzt tiefer an. Es ist für mich eine Haltung. Die Haltung, Veränderungen offen gegenüberzustehen und zu wissen, dass man nicht alles weiß, sondern aus Erfahrungen und Fehlern lernt.

Es geht also mehr um das Sein und betrifft Werte wie Offenheit, Transparenz, Mut, Respekt und Fokus. Offen kommunizieren, Entscheidungen reflektieren, Fehler transparent machen, Neues ausprobieren, aus den eigenen und von den Erfahrungen anderer lernen. All das gehört für mich genauso dazu wie Annahmen treffen, schrittweise vorgehen, frühzeitig Feedback einholen und damit ein wirklich funktionierendes Produkt oder Konzept entwickeln.

Auch Selbstorganisation sowie Selbstwirksamkeit sind für mich wichtige Aspekte in diesem Zusammenhang. „Mein Chef muss mir sagen, was ich zu tun habe“ funktioniert in der heutigen Zeit nicht mehr überall. Die Welt ist zu komplex, als dass eine Person alles wissen und für andere entscheiden kann. Die Mitarbeitenden sollten im Unternehmen mitdenken und eigenverantwortlich arbeiten können.

Dafür braucht es das Gefühl von Sicherheit, Vertrauen auf beiden Seiten sowie eine Führung, die den Menschen und seine Bedürfnisse in den Mittelpunkt stellt.

 

 

Ist Agilität für jedes Unternehmen geeignet?

Im Prinzip ja. Scrum vielleicht nicht, aber das wertebasierte Denken bzw. die Orientierung am agilen Manifest in jedem Fall. Klar, lässt sich Agilität besonders gut in der IT einsetzen, es kommt ja schließlich aus der Softwareentwicklung. Aber auch andere Bereiche wie Marketing, Sales oder HR profitieren von den Ansätzen. Denn auch hier sind Unternehmen mit Veränderungen und komplexen Herausforderungen konfrontiert.

Auch traditionelle Unternehmen können agil werden, es braucht meist aufgrund der Größe und gefestigter Strukturen einfach nur mehr Zeit. Sie müssen auch nicht alles über den Haufen werfen.

Es bringt schon viel, wenn Unternehmen Veränderungen offen annehmen und bestehende Strukturen hinterfragen. Die, die es vielleicht schon lange gibt und man deshalb einfach hinnimmt oder sogar verteidigt. In regelmäßigen Abständen reflektieren, was eigentlich gut und was schlecht läuft. Dann schrittweise etwas verändern und ausprobieren, was funktioniert. Das ist ja, was Agilität ausmacht.

 

 

 

Wie können Unternehmen Agilität erfolgreich einführen?

Ein Umdenken muss stattfinden. Wie Führung fängt auch Agilität bei sich selbst an. Ein Unternehmen braucht Menschen, die für die agile Denkweise offen sind, die sich selbst reflektieren und weiterentwickeln möchten. Es bringt nichts etwas über die Mitarbeitende drüber zu ziehen und einem strikten Prozess zu folgen. Das entspricht nicht den agilen Werten und stößt wahrscheinlich eher auf Widerstand.

Wie im agilen Manifest beschrieben, sollte der Fokus nämlich mehr auf den Individuen als auf dem Befolgen von Prozessen liegen. Ein schrittweises Vorgehen ist sinnvoll. Ausprobieren und schauen, was ankommt. Was zum Unternehmen und vielleicht auch zum Kunden passt.

Das braucht Zeit, Geduld und vor allem auch Raum für Veränderung. Die Mitarbeitenden sollten das Unternehmen selbstwirksam mitgestalten können. Regelmäßige Einzelgespräche, wie „1on1s“ bieten z.B. die Möglichkeit sich offen zu aktuellen Entwicklungen und verschiedenen Sichtweisen auszutauschen.

Außerdem sollte die Management-Ebene die agilen Werte selbst verinnerlichen und vorleben, ganz nach dem Leading-by-example-Prinzip. Das gilt auch für Führungskräfte, die Multiplikatoren sein können. So lernen die Mitarbeitenden am Vorbild und die agile Haltung verteilt sich sternförmig im Unternehmen.

Es kann auch sein, dass Teams im Kleinen anfangen, das Thema Agilität voranzutreiben. Solche „Graswurzelbewegungen“ sind besonders wertvoll. Denn die Motivation ist intrinsisch, die Vorteile werden direkt erlebt und Erfahrungen teilt man ungefiltert mit Kolleg:innen. Solche Initiativen sollten Unternehmen offen gegenüberstehen und aktiv unterstützen, wenn sie die agile Arbeitsweise fördern wollen.

 

 

Agilität lässt sich am besten etablieren, in dem man sie vorlebt.

— Christian Heiming, Unit Head

 

 

Was sind die größten Herausforderungen im agilen Wandel? Was sollten Unternehmen unbedingt vermeiden?

Viele Unternehmen klammern an Altbewährtem. Lange Zeit haben ihre Strategien ja gut funktioniert. Aber die Zeiten haben sich geändert. Deshalb sollten Unternehmen lernen, Veränderungen willkommen zu heißen und Altes loszulassen. Schwierig ist es auch, wenn den Mitarbeitenden etwas aufgedrückt wird.

Agilität lässt sich am besten etablieren, in dem man sie vorlebt. Das braucht Zeit. Außerdem hilft es enorm, Gründe und vor allem Vorteile klar zu kommunizieren. Denn wie Nietzsche schon sagte „Hat man sein Warum […], so verträgt man sich fast mit jedem Wie“.

Darüber hinaus glaube ich, dass wir in Deutschland vor einer kulturellen Herausforderung stehen. Denn das Ingenieurwesen hat die deutsche Wirtschaft lange Zeit getragen. Die Denkansätze aus dieser Zeit sind teilweise in Unternehmen noch stark verankert. Konstruktionen bis in kleinstes Detail zu planen, keine Fehler machen und immer die höchste Qualität abliefern. Dieser Perfektionismus kann vielen Unternehmen heute im Weg stehen.

Und auch die Risikobereitschaft ist tendenziell geringer als in anderen Ländern. Etwas Neues ausprobieren und Scheitern zulassen, fällt vielen schwer.

 

 

Wie hat sich die Agilität in den letzten Jahren verändert?

Als wir angefangen haben, agil zu arbeiten, konnten noch nicht viele etwas mit dem Begriff anfangen. Mittlerweile ist er fast schon ein Marketing-Buzzword.

Manche Unternehmen nennen sich agil, sobald sie morgige Daylies abhalten. Nicht zuletzt, um auf dem Arbeitsmarkt Fachkräfte anzuwerben. Aber es stimmt auch, dass immer mehr Unternehmen von der agilen Arbeitsweise überzeugt sind und agile Methoden einsetzen.

Während Scrum & Co. fast zur Normalität geworden sind, setzen sich immer mehr Firmen mit der Frage auseinander, was Agilität eigentlich wirklich bedeutet. Das „Agile Being“ rückt in den Vordergrund, also die agile Haltung und dessen Werte. Die unsichtbaren Wurzeln, die den Baum halten und nähren.

Außerdem hat das Schwarz-Weiß-Denken abgenommen. Früher war man agil oder eben nicht. Heute gibt es mehr Facetten. Und auch über die Grenzen der Softwareentwicklung hinaus haben andere Bereiche die Agilität für sich entdeckt. 

 

 

Wie entwickelt sich Agilität in der Zukunft weiter?

Wenn man die letzten 100, 50, 10 oder auch 5 Jahre vergleicht, stellt man schnell fest, dass die Geschwindigkeit, mit der sich Märkte und Technologien weiterentwickeln, exponentiell gestiegen ist („Exponentieller Wandel“). Deshalb werden in Zukunft die Anpassungs- und Reflexionsfähigkeit von Unternehmen eine entscheidende Rolle spielen – Wie schnell passt man sich äußeren Einflüssen und Veränderungen an?

Ich kann mir gut vorstellen, dass zum Beispiel Retrospektiven an Bedeutung gewinnen werden. Die Retrospektive ist in Scrum ein regelmäßiges Event, bei dem agile Teams den letzten Entwicklungszyklus reflektieren und Maßnahmen zur kontinuierlichen Verbesserung definieren, um unter anderem auch die Zusammenarbeit zu verbessern. Auch den Menschen an sich sehe ich als zentrales Element, welcher noch mehr in den Fokus rücken wird. Denn mit ihm steht und fällt die Agilität.

Erst wenn sich Mitarbeitende sicher und wertgeschätzt fühlen, können sie agile Werte wirklich leben und agile Arbeitsweisen effizient umsetzen. Es braucht Strukturen, die intrinsisch motivieren, Vertrauen fördern, bei Fehlern Rückhalt bieten und die Bedürfnisse der Menschen in den Mittelpunkt stellen. Das gilt für den Kunden als auch für die Mitarbeiter:innen.
 


 

Wir bedanken uns bei Christian für das Interview und seine Einblicke als Experte! Wir sind gespannt auf die weiteren Entwicklungen in Sachen menschenzentrierten Führung und Agilität. In unserem Newsletter halten wir dich auch zu diesen Themen auf dem Laufenden. Melde dich an, um up to date zu bleiben!

 

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Aus der Praxis für die Praxis – denn wir selbst orientieren unser Arbeiten seit vielen Jahren an den agilen Werten. So möchten wir auch dich und dein Team dazu befähigen, denn Agilität ist die Arbeitsweise der Zukunft!

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